Konzept zur Öffnung der Kindertageseinrichtungen und Kindertagespflege in Baden-Württemberg
Rückkehr zu einem Regelbetrieb unter Pandemiebedingungen
1. Vorbemerkung
Kindertageseinrichtungen und die Kindertagespflege haben den Auftrag, die Entwicklung des Kindes hinsichtlich seiner Persönlichkeit zu fördern, die Er-ziehung und Bildung des Kindes zu unterstützen und zu ergänzen (KitaG). Dies umfasst die Erziehung, Bildung und Betreuung des Kindes zur Förderung seiner Gesamtentwicklung (SGB VIII).
Für Kinder in den Kindertageseinrichtungen und in der Kindertagespflege sind insbesondere auch die sozialen Kontakte mit Gleichaltrigen in ihrer definierten Gruppe, auch mit Blick auf die seelische Gesundheit, von herausragender Be-deutung. Da sich das Infektionsgeschehen in BW stark verlangsamt hat, konn-ten seit April schrittweise Lockerungen der im März vollzogenen Schließungen vorgenommen werden.
Mit jeder Lockerung der Beschränkungen steigt die Erwartung der Eltern und Kinder, aber auch der Arbeitgeber, die Vereinbarkeit von Familie und Beruf mit verlässlichen Betreuungsangeboten wieder weitgehend zu gewährleisten.
2. Pandemie-Entwicklung
Das Infektionsgeschehen hat sich in BW auf einem niedrigen Niveau stabili-siert. Die im Auftrag der Landesregierung unter Federführung des Universi-tätsklinikums Heidelberg durchgeführte Studie, an der auch andere Unikliniken mitgewirkt haben, hat nun die Befunde anderer internationalen Studien bestä-tigt: Danach haben Kinder unter 10 Jahren einen sehr viel geringeren Anteil am Pandemiegeschehen als ursprünglich angenommen. Sie erkranken deut-lich seltener und haben dann meist mildere Verläufe mit wenigen oder gar keinen Symptomen. Auf dieser Grundlage ist eine umfassende Öffnung der Kindertageseinrichtungen, die pädagogisch geboten ist, verantwortbar.
Andere europäische Länder (Dänemark, Niederlande, Norwegen) wie auch andere Bundesländer (Sachsen, Schleswig-Holstein, NRW) haben bereits ihre 2
Kindertageseinrichtungen sowie die Kindertagespflege für einen Regelbetrieb unter Pandemiebedingungen geöffnet bzw. werden dies zeitnah tun. Die vor-liegenden Erfahrungen ermutigen, diesen Schritt auch in Baden-Württemberg zu vollziehen.
Mit Vorliegen der vorläufigen Ergebnisse der Heidelberg-Studie, die den ge-ringen Anteil von Kindern am Pandemiegeschehen bestätigt hat, hat die Lan-desregierung daher entschieden, die Öffnung der Kindertageseinrichtungen und der Kindertagespflege ab 29. Juni 2020 für einen Regelbetrieb unter Pan-demiebedingungen zu ermöglichen.
3. Grundsätze
Die schrittweise Öffnung der Kindertageseinrichtungen erfolgt in vier Phasen, entsprechend dem Beschluss der Jugend- und Familienministerkonferenz vom 28. April 2020, „Gemeinsamer Rahmen der Länder für einen stufenwei-sen Prozess zur Öffnung der Kindertagesbetreuungsangebote von der Notbe-treuung hin zum Regelbetrieb im Kontext der Corona-Pandemie".
In Baden-Württemberg wurden bislang die Phasen 1 bis 3 umgesetzt:
Phase 1 mit der Notbetreuung ab 17. März 2020,
Phase 2 mit der erweiterten Notbetreuung ab 27. April 2020 und
Phase 3 mit dem eingeschränkten Regelbetrieb seit 18. Mai 2020.
Phase 4 mit dem Regelbetrieb unter Pandemiebedingungen steht jetzt ab dem 29. Juni 2020 zur Umsetzung an.
Oberste Priorität hat weiterhin der Schutz der Gesundheit. Das Gelingen des Konzeptes erfordert deshalb zwingend die Solidarität, Achtsamkeit und aktive Mitwirkung aller Beteiligten. Werden die Regeln zur Öffnung der Kindertages-einrichtungen und der Kindertagespflege nicht eingehalten, erhöht sich das Risiko eines konkreten Infektionsgeschehens mit der Folge, dass die Gruppe, die Einrichtung bzw. die Tagespflegestelle wieder geschlossen werden muss. Dies bedeutet, dass Kinder, deren Eltern sowie das beteiligte Personal in eine 14-tägige Quarantänemaßnahme müssen.
In Kindertageseinrichtungen sowie in der Kindertagespflege ist die Durchset-zung von Abstandsregeln bei Kindern nicht oder nur sehr bedingt möglich. Daher werden diese ersetzt durch eine möglichst stabile und konstante Zu-3
sammensetzung der Gruppe mit den jeweiligen pädagogischen Fach- und Zu-satzkräften.
4. Grundlagen für die Kindertagespflege
Die Tagespflegestellen können ab 29. Juni 2020 im Regelbetrieb ohne Ein-schränkungen arbeiten, sofern die gemeinsamen Schutzhinweise von KVJS, UKBW und LGA eingehalten werden. Eine Abstandsregelung für Kinder be-steht nicht, Erwachsene untereinander sollen die Abstandsregel von 1,5 Me-tern einhalten, sofern sie nicht einem gemeinsamen Haushalt angehören.
5. Grundlagen für den Kita-Betrieb
Die nachstehenden Grundlagen für den Kita-Betrieb gelten ab 29. Juni 2020 und sollen auch für das kommende Kindergartenjahr 2020/21 ihre Gültigkeit haben, sofern es nicht aus Gründen des Infektionsgeschehens wieder zu Ein-schränkungen oder zu weiteren Erleichterungen kommt.
Die Umsetzung und konkrete Ausgestaltung erfolgen durch die jeweiligen Ein-richtungen und ihre Träger in eigener Verantwortung.
Der Bildungs-, Betreuungs- und Erziehungsauftrag gilt weiterhin.
Die Aufnahme des Regelbetriebes unter Pandemiebedingungen orientiert sich an der Betriebserlaubnis des KVJS hinsichtlich der Anzahl an Grup-pen, den Gruppengrößen und den Betreuungszeiten der Einrichtung.
Die Öffnungszeiten müssen für alle Beteiligten verlässlich sein.
Es ist auf eine möglichst stabile und konstante Zusammensetzung der Gruppen (Kinder wie auch Beschäftigte) zu achten. Im Regelfall besuchen die Kinder die Gruppe, die sie vor Schließung der Kita besucht haben. Neuaufnahmen von Kindern und deren Eingewöhnung können wieder er-folgen.
Für die verschiedenen Betreuungsgruppen ist möglichst eine Trennung sowohl im Gebäude wie auch im Außenbereich vorzunehmen, das heißt Kitabeginn und -ende, Essenszeiten sowie Aufenthalte im Außenbereich sind weiterhin orts- bzw. zeitversetzt zu planen.
Eine Abstandsregelung für die Kinder gibt es nicht, Erwachsene unterei-nander sollen das Abstandsgebot (1,5 Meter) einhalten.
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Die Notbetreuung entfällt, ein Rechtsanspruch auf Betreuung nach SGB VIII besteht weiterhin nicht.
Vom Mindestpersonalschlüssel nach § 1 der KitaVO kann weiterhin abge-wichen werden, sofern die Aufsichtspflichten uneingeschränkt wahrge-nommen werden.
Zusätzliche geeignete Räumlichkeiten können genutzt werden, sofern die Sicherheit für Kinder und Beschäftigten gewährleistet ist; es genügt eine einfache Mitteilung an den KVJS.
Eine Abweichung von der Gruppengröße ist im Einzelfall mit Genehmigung des KVJS möglich.
6. Gesundheit der Kinder, Eltern und Beschäftigten
Für den Kita-Betrieb sowie die Kindertagespflege ist wesentlich, dass aus-schließlich gesunde Kinder ohne Anzeichen der Krankheit SARS-CoV-2 be-treut werden. Häufige Symptome sind Störungen des Geruchs- und Ge-schmacksinns, Fieber oder Husten. Auch das Personal muss gesund sein, ebenso die Eltern oder andere Personen, die das Kind zur Kinderbetreuung bringen, sowie sämtliche Mitglieder des Hausstandes.
Mit Beginn des Regelbetriebs unter Pandemiebedingungen ab dem 29. Juni 2020 sowie zu Beginn des neuen Kindergartenjahres haben die Eltern und al-le Beschäftigten eine entsprechende schriftliche Erklärung abzugeben, die do-kumentiert wird. Ein Muster hierfür wird zur Verfügung gestellt. Sollten Eltern diese Regelung nicht einhalten, ist die Einrichtung berechtigt, das Kind von der weiteren Betreuung auszuschließen.
Eltern eines Kindes, das aufgrund relevanter Vorerkrankungen zu einer Risi-kogruppe gehört, sind dafür verantwortlich, mit dem Kinderarzt zu klären, ob der Besuch einer Kindertageseinrichtung oder Tagespflegestelle für ihr Kind gesundheitlich verantwortbar ist. Die Einrichtung kann eine entsprechende ärztliche Bescheinigung verlangen.
Im Rahmen der erweiterten Teststrategie für das Land Baden-Württemberg, über das der Ministerrat am 23. Juni 2020 entscheidet, werden zusätzliche Testungsmöglichkeiten sowohl für Kinder wie auch für die Beschäftigten ge-schaffen. Ergänzende Informationen hierzu erfolgen gesondert. 5
Grundsätzlich gelten weiterhin Betretungsverbote für alle Beteiligten, die selbst oder deren Familienmitglieder an SARS-CoV-2 erkrankt sind oder ent-sprechende Krankheitssymptome zeigen.
Darüber hinaus erhalten die Einrichtungen eine Handreichung des Landesge-sundheitsamts, wie bei möglichen Kontakten mit infizierten Personen bzw. de-ren Kontaktpersonen zu verfahren ist. Die Entscheidung über ggf. erforderli-che Quarantänemaßnahmen treffen die örtlich zuständigen Gesundheitsäm-ter.
7. Hygienemaßnahmen
Jede Einrichtung bzw. Tagespflegestelle erstellt auf der Grundlage der Schutzhinweise für Kindertageseinrichtungen des KVJS, der UKBW und des LGA in ihrer jeweils gültigen Fassung ein Hygienekonzept und setzt dieses um.
Fester Bestandteil der pädagogischen Arbeit ist die spielerische und altersge-rechte Unterweisung der Kinder in die Grundregeln der Hygiene wie Hände-waschen und achtsames Hygieneverhalten im Umgang miteinander, beim Es-sen und in den Sanitäreinrichtungen.
Darüber hinaus wird empfohlen, Singen und Bewegen nur im Außenbereich vorzunehmen.
8. Pädagogische Fachkräfte und weiteres Personal
Das Personal wird nicht in allen Einrichtungen vollumfänglich zur Verfügung stehen, da einzelne Beschäftige aufgrund ihrer Zugehörigkeit zu einer Risiko-gruppe nicht im Präsenzdienst zur Verfügung stehen können.
Das Robert-Koch-Institut (RKI) hat zwischenzeitlich seine Informationen zu den Risikogruppen an die aktuellen wissenschaftlichen Erkenntnisse ange-passt. Demnach ist eine generelle Festlegung zur Einstufung in eine Risiko-gruppe nicht mehr möglich. Vielmehr sei eine personenbezogene Risiko-Bewertung im Sinne einer (arbeits-)medizinischen Beurteilung erforderlich. 6
Die konkrete Umsetzung dieser Empfehlung des RKI obliegt dem jeweiligen Träger der Einrichtung als Arbeitsgeber der Beschäftigten.
9. Befristete Flexibilisierung des Mindestpersonalschlüssels
Vom Mindestpersonalschlüssel nach § 1 der KitaVO kann zum Ausgleich für Beschäftigte, die durch eine ärztliche Bescheinigung vom Präsenzdienst be-freit sind, befristet bis zum Ende des Kita-Jahres 2020/21 abgewichen wer-den, sofern die Aufsichtspflichten uneingeschränkt wahrgenommen werden.
Um die Betriebszeiten verlässlich und möglichst vollumfänglich zu gewährleis-ten, kann die Mindestpersonalanzahl um bis zu 20 % unterschritten werden. Bei einer weiteren Unterschreitung muss der Personalausfall kompensiert werden, zum Beispiel mit Fachkräften aus dem Bundesprogramm Sprach-Kitas, bereits bisher zeitweise eingesetzten Zusatzkräften, Personen, die ein freiwilliges soziales Jahr absolvieren, Studierende im Block-Praktikum, Aus-zubildenden und anderen geeigneten Personen im Sinne von § 7 Abs. 5 Ki-TaG.
Für den Fall, dass trotz dieser Maßnahmen nicht ausreichend Personal zur Gewährleistung der Aufsichtspflichten zur Verfügung steht, kann die jeweilige Einrichtung in Abstimmung mit ihrem Träger einer Reduzierung der Öffnungs-zeiten vornehmen.
10. Direkteinsteigerprogramm
Um den Personenkreis der pädagogischen Fach- und Zusatzkräfte dauerhaft zu erweitern, wird das Kultusministerium im Rahmen der Umsetzung des „Gu-te-Kita-Gesetz" ein Direkteinsteigerprogramm initiieren, um Menschen im Rahmen einer beruflichen Neuorientierung entsprechende Einstiegs- und Qualifikationsmöglichkeiten anzubieten. Zunächst sollen Zusatzkräfte berufs-begleitend eine pädagogische Qualifizierung erhalten, in einem weiteren Mo-dul soll die Qualifizierung als Fachkraft möglich sein. 7
11. Übergangsregelung
Die rechtlichen Grundlagen für die Öffnung der Kindertageseinrichtungen und der Kindertagespflege werden zum 29. Juni 2020 in Kraft gesetzt. Sollten Ein-richtungen vorzeitig die Umstellung vornehmen wollen, so ist dies in Abwei-chung zur bestehenden Rechtsgrundlage ausdrücklich zulässig.